Gebissloses Reiten
Trense mit oder ohne Gebiss? Eine tolle Frage um eine ausgiebige Diskussion unter Reitern auszulösen.
Besonders in der englischen Reitweise ist das Gebiss als Teil des Zaums doch recht fest in den Köpfen verankert. Und trotzdem: In den letzten Jahren scheinen sich doch einige mit der gebisslosen Variante anzufreunden, sodass es auch für uns Zeit wurde, sich genauer damit zu beschäftigen.
1997 hat der englische Veterinärmediziner, Dr. Robert Cook angefangen, sich mit dem Gebiss im Pferdemaul auseinander zu setzen und kam zu dem Schluss, dass im Pferdemaul für ein Gebiss eigentlich gar kein Platz ist. Seither werden immer mehr Stimmen laut, die diese These unterstützen. Durch die moderne Pferdezucht, die Veredelung der Warmblutrassen mit Vollblut, und den daraus resultierenden schmaleren Köpfen, wird diese Problematik noch verstärkt. Das gern gesehene Kauen sei zusammen mit dem Speichelfluss nur ein Versuch, den Fremdkörper loszuwerden. Selbst Atemnot kann auf ein Gebiss im Maul zurückgeführt werden. Und natürlich wird auch der Schmerzen den ein Gebiss im empfindlichen Pferdemaul verursacht immer wieder als Argument für gebissloses Reiten vorgebracht. Dazu muss aber gesagt sein, dass auch die sanfteste gebisslose Zäumung nicht vor einer harten Reiterhand schützen kann und Druck auf die empfindliche Pferdenase genauso schmerzhaft sein kann.
Die Bedenken, ob besonders das Ausreiten ohne Trense denn sicher sei, hört man immer wieder. Schliesslich ist die Trense doch ein mittel der Kontrolle und damit für viele Reiter auch ein Stück Sicherheit. Gerade im Gelände können doch immer wieder unerwartete Situationen auftreten. Interessanterweise gibt es hier viele Reiter die berichten, dass ihr Pferd welches im Gelände sonst doch sehr ‘an’ ist, ohne Gebiss entspannter laufen würde. Genauso gibt es aber auch Pferde, die die neu gewonnenen Freiheit gleich mal mit Druck auf den Zügel quittieren.
Sei es bei der Ausbildung von Jungpferden, bei einem Pferd mit Zahnproblemen oder einfach nur bei einem Tier, welches mit Gebissen schlechte Erfahrunge gemacht hat, sich mit dem gebisslosen Reiten auseinanderzusetzen schadet auf keinen Fall. Schliesslich gibt es nicht nur den einen gebisslosen Zaum, sondern verschiedene Möglichkeiten für verschiedene Pferde- und Reitertypen:
Sidepull
Das Sidepull ist ähnlich einem Halfter aufgebaut. Die Zügel werden dabei seitlich am Pferdekopf eingeschnallt. Diese Zäumung eignet sich gut zum Lenken, allerdings ist es für Pferde die zum Anhalten etwas mehr Überzeugung brauchen, weniger geeignet. Grundsätzlich ist es eine sehr feine Zäumung, die sich zum Beispiel auch anbietet, um das Pferdemaul von den noch etwas grobmotorischen Hilfen des Reitanfängers zu schützen.
Bitless Bridle (Crossover Bitless Bridle)
Diese gebisslose Zäumung entstammt der Idee des bereits erwähnten Dr. Robert Cook. Es gibt es zwei Kehlriemen die sich überkreuzen, also von der einen Kopfseite auf die andere führen. Die Zügel werden nun an diesen Kehlriemen eingehängt. Das heisst es wird Druck auf die Nase, Kinn, Genick und Ganaschen ausgeübt. Bedient man nun einen Zügel gibt es Druck auf die entgegengesetzte Kopfseite des Pferdes. Zieht man also z.B. am rechten Zügel, soll es sich für das Pferd so anfühlen, als ob jemand seinen Kopf sanft auf die rechte Seite schiebt. An dieser Zäumung wird kritisiert, dass die Hilfen zu undeutlich und verzögert ankommen. Ausserdem kann es passieren, dass sich die Kehlriemen zu ziehen, aber der Druck beim Loslassen der Zügel nicht sofort ankommt.
Mechanisches Hackamore
Das Hackamore kann in jedes normale Kopfteil eingeschnallt werden. Dazu wird lediglich das Reithalfter (also der Teil mit dem Nasenband), abgeschnallt und das Hackamore eingeschnallt. Die Zügel werden an den Anzügen (“Shanks”) angebracht und somit wirkt der Druck auf Nasenrück, Kinn und Genick ausgeübt. Das Hackamore ist eine sehr scharfe Zäumung und trägt auch den Namen ‘gebisslose Kandarre’. Diese Zäumung ist ein Beispiel dafür, dass ‘gebisslos’ nicht automatisch auch ‘sanfter’ bedeutet. Das Hackamore gehört daher nur in erfahrenen und ruhige Hände. Diese Zäumung erlaubt Kontrolle auch über heftigere Pferde.
LG-Zaum/ Glücksrad
Das Glücksrad oder LG- Zaum wurde von Monika Lehmenkühler entwickelt. Es trägt seinen Namen, da es aus zwei Rädern mit je 6 Speichen besteht und genau wie das Hackamore in jeden üblichen Zaum eingeschnallt werden kann. Die Zügel werden dabei in den Zwischenräumen zwischen den Radspeichen angebracht. Die Wirkung dieser Zäumung hängt davon ab, wo genau, die Zügel verschnallt werden. So kann es sein, dass das Glücksrad wie ein Sidepull wirkt (keine Hebelwirkung) oder, wenn die Zügel so verschnallt wird das sich das Rad dreht, kann eine leichtere oder auch stärkere Hebelwirkung erzeugt werden. Bei der Hebelwirkung wird der Druck auf Nase, Kinn und Genick verteilt. Zusätzlich können noch Shanks angebracht werden, womit die Wirkung der eines Hackamores entspricht.
Bei gebisslosen Zäumungen wird immer wieder bemängelt, dass die Anlehnung und Stellung oder grundsätzlich die Dressurarbeit/ Gymnastizierung nicht ausreichend möglich sei. Monika Lehmenkühler hat sich zu diesem Vorwurf geäussert und erklärt in ihrem Buch/ DVD wie selbst hohe Dressurlektionen mit dem LG-Zaum zu reiten sind.
Die Konstruktion des Starbridles erinnert an ein LG-Zaum mit Shanks oder auch an ein Flower-Gebiss mit Anzügen. Auch hier gibt es, wie beim LG Zaum verschiedene Einstellungen, von keiner bis starker Hebelwirkung. Bei starker Hebelwirkung ist der Druck ähnlich wie beim Hackamore und ist daher nicht für Anfänger geeingnet.
Bosal
Das Bosal ist v.a. den Westernreiter ein Begriff und wirkt auf den Nasenrücken und seitlich auf den Unterkiefer ein. Die Zügel werden dabei unterhalb am Kinn verschnallt. Bosal Zäumung sind in unterschiedlichen Dicken erhältlich. Auch diese Zäumung ist sehr scharf, weshalb sie nur in absolut erfahrene Hände gehört. Selbst fortgeschrittene Reiter brauchen ihre Zeit und im besten Fall auch Unterricht, um sich mit dieser Art von Zäumung vertraut zu machen. Gerade die Anpassung benötigt besonderes Feingefühl, da ansonsten Druck und Scheuerstellen beim Pferd auftreten können.
Das in der Bodenarbeit sehr beliebte Knotenhalfter wird häufig auch als Zaum benutzt. Dabei werden die Zügel entweder direkt unter dem Kinn eingehängt oder mit Sidepull-Ringen an den Seiten des Pferdekopfes befestigt. Diese gebisslose Variante ist sehr günstig und ermöglicht auch eine gute seitliche Einwirkung. Die dünnen Schnüre des Knotenhalfter ermöglichen eine sehr starke Einwirkung und können so in den falschen Händen dem Pferd erhebliche Schmerzen verursachen.
Der Kappzaum eignet sich nicht nur hervorragend zum Longieren, sondern auch als Zaum für die Ausbildung von Jungpferden oder als gebissloser Zaum. Dabei werden die Zügel an den seitlichen Ringen eingeschnallt. Der Kappzaum lässt eine gute Einwirkung ohne dabei die Pferde in ihrer Losgelassenheit zu behindern und wird dafür oft in der Ausbildung von Jungpferden verwendet. Auch für den Reitunterricht bietet sich diese Zäumung an, da es den Anfänger so möglich ist, eine feine Zügelführung zu erlernen, ohne dass das empfindliche Maul des Pferdes in Mitleidenschaft gezogen wird.
Ob mit oder ohne Gebiss muss schlussendlich jeder für sich und vor allem für sein Pferd entscheiden. Was beim einen Pferd perfekt funktioniert kann schon beim nächsten komplett versagen. Und seien wir ehrlich, die perfekte, alle Fragen beantwortende Lösung gibt es doch eigentlich nie. Am Ende geht es einfach darum, die passendste Lösung für sich und seinen besten Freund zu finden. Einmal gebisslos ausprobieren ist sicher keine schlechte Idee und auch eine gute Möglichkeit seine Zügel unabhängigen Hilfen zu überprüfen. Und für denjenigen, der das gebisslose Reiten schon gemeistert hat, gibt es immer noch den Halsring .